Der Deutsche Werberat, die Selbstkontrolle der Werbebranche, hat werbende Unternehmen zu mehr Rücksichtnahme auf die Gefühle von Konsumenten aufgefordert. Die Anzahl der von Protesten aus der Bevölkerung betroffenen kommerziellen Werbekampagnen sei im ersten Halbjahr um ein Viertel auf 147 gestiegen, berichtete ein Sprecher des Gremiums in Berlin. Die Beanstandungen durch den Werberat hätten sich im Vergleich zum Vorjahr um fast ein Drittel von 30 auf 39 und davon die Anzahl der verhängten Rügen von drei auf fünf erhöht.
Ursache der wachsenden Menge umstrittener Werbung sei offenkundig der gestiegene Leistungsdruck auf den Märkten. „Das ist kein Grund, in der Werbung über die Grenzlinie gesellschaftlich akzeptierter Markt-Kommunikation zu gehen“, mahnte der Werberat. Vor allem kleinere Firmen meinten, dass es in der Werbung hauptsächlich um die Produktion von Aufmerksamkeit geht. Aufsehen schaffe aber selten Ansehen für Marken und wecke kaum Sympathie für angebotene Waren und Dienstleistung. Aggressive Werbemethoden wandelten sich häufig zum betriebswirtschaftlichen Bumerang, der Kundenbeziehungen stören oder sogar kappen könne, so der Sprecher des Gremiums.
Gewalt als Blickfang für Mode und Laptops
So hatte ein Textilienproduzent in Zeitschriftenanzeigen mit dem Bild eines jungen Mannes geworben, der seinen Fuß in den Nacken eines vor ihm auf dem Bauch liegenden älteren Mannes drückte. Nach Intervention des Werberats nahm die Firma die Anzeige aus dem Markt. Rügen musste das Gremium einen in Frankfurt am Main ansässigen Computervertrieb, weil das Unternehmen zunächst nicht verstehen wollte, dass man für einen Laptop nicht mit einem blutbespritzten boxenden Mann mit blutgetränkten bandagierten Fäusten und der Überschrift „Unschlagbar“ werben sollte. Dem Verdacht von Gewaltverherrlichung sollte sich ein Unternehmen nicht aussetzen.
Menschenunwürdig: „24h open“
Als demütigend und menschenunwürdig rügte der Werberat eine Kampagne einer Hotelkette. Das Unternehmen zeigt auf einer Werbepostkarte den Unterleib einer Frau im Bikini mit der Aufschrift in Höhe des Schambereichs „24h open“ sowie dem Text „Sexy Preise“. Ebenso sah die Beschwerdeinstanz das Plakat einer Baufirma als sexistische Geschmacksverirrung, die ein Frauengesäß mit Stringtanga und den Text „Nicht überall sieht Wasser so attraktiv aus“ zeigte. Auch hier erfolgte eine Öffentliche Rüge.
Können Dessous Sünde sein?
Freigesprochen hat das Gremium im ersten Halbjahr 108 Kampagnen, unter anderem die Internet-Werbung des Produzenten eines Schaumbads. Der fand sein Produkt „höllisch gut“ und fragte die Umworbenen: „Heute schon gesündigt?“. Der Beschwerdeführer sah in diesen Begriffen religiöse Empfindungen verletzt, was der Werberat mit dem Hinweis auf die Umgangssprache anders einstufte. Auch die Abbildung von Models in Dessous auf Flächen von Straßenbahnen qualifizierte der Werberat nicht als „anstößig, aufreizend und Frauen diskriminierend“, wie der Werbekritiker meinte.
Aktuell: Hitler beim Sex
Neben den Fällen aus der Halbjahresbilanz des Werberates macht derzeit auch eine nicht-kommerzielle Kampagne von sich reden. Mit Motiven, auf denen Adolf Hitler, Josef Stalin und Saddam Hussein mit dem Slogan „Aids ist ein Massenmörder“ beim Sex zu sehen sind, will der gemeinnützige Verein Regenbogen für Aufmerksamkeit sorgen. Allerdings hat die von der Hamburger Agentur Das Comitee entwickelte Kampagne einen Sturm der Entrüstung ausgelöst: Die Kampagne sei „wirkungslos, überflüssig und kontraproduktiv“, so die Aids-Hilfe in einer Mitteilung. Eine Rüge des Werberates ist hier jedoch nicht zu erwarten, da dieser nur für kommerzielle Werbung zuständig ist.
Zuviel Phantasie
Dass nicht nur bei manchem Firmenlenker die Phantasie bei der Werbung durchgeht, sondern auch bei Beschwerdeführern, zeigt der Fall der Werbung eines Geldinstituts. In einer Anzeige sind drei Jungen zusehen, sie stehen auf einer Bank, um über den Zaun hinweg ein Fußballspiel verfolgen zu können. Beworben wird ein Girokonto für Privatkunden und der Textzeile „Unentgeltlich“. Der Protest dagegen: Das Wort „Unentgeltlich“ sei in Höhe der Hinterteile der drei Jungen gesetzt. Diese Doppeldeutigkeit könne Pädophile ansprechen und sei daher gefährlich für Kinder. Das Gremium schloss sich dieser Einordnung des gezeigten Anzeigenbildes nicht an.