LENINMONUMENT
Andreas Paul

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Ansprache auf der Prager Straße in Dresden während einer Feier des zwanzigjährigen Jubiläums der Gründung der „Gruppe der 20“ am 8.Oktober 1989

LENINMONUMENT

I

Hier stand mal ein Denkmal aus rotem Granit
Das wies in die Zukunft, die keiner mehr sieht.
Geschlossenen Auges noch kann ich es sehn
Wie schwebend am Grund einer Baugrube stehn
Hindurch gehn die Messer der Geodäsie
Wie in Sahnetorten doch verletzen es nie.
Im Dunkel wohnt Furcht und ich hebe den Blick
Den roten Granit holt uns keiner zurück
Am Grunde der Grube wohnt Gras und wir sind
Ein in jeder Beziehung verlassenes Kind.
Wo sind unsre Brunnen, wir wolln sie zurück
Geschleift und geschrumpft ohne Sinn und Geschick
Und jedweder Regeln des Urheberrechts
Entgegen im Sog kriminellen Geflechts.
Wo früher die Weite, der Raum war, erscheint
Die Perspektive gebrochen und um Waren vereint
Denn alles ist käuflich. Das Auge ißt mit
Und im näheren Focus faßt der Kaufrausch sich Tritt.
Leuchtstäbe rastern das Screening bei Nacht
Der Kameras über dem Feld keiner Schlacht
Wenn wir demonstieren. Wie blöd wir doch sind.
Zur endlosen Schnäppchenjagd staut sich der Wind
Es gibt kein zurück, Michel, troll dich und kauf
Was hier hingesetzt ist hält die Gegenwart auf.
Die Straße der Zukunft war auf Dauer getrimmt
Jetzt kann es lang dauern bis die Zukunft beginnt
Die Glashäuser werden verschwinden und dann
Weist vom Bahnhof auch wieder Perspektive voran.
Dann steht auch ein Lenin als Großhologramm
Wieder neben dem Newa und im Erdreich, im Schlamm.
Ein Granitblock aus Finnland gereicht ihr zur Zier
Der Elbmetropole, und das wünsche ich ihr.
Daß Lenin den Intershop aufsucht war früher
Bald gibt es im Intershop Lenin-Aufsprüher
Schablonen aus Venezuela und Kuba,
Die spieln erste Geige und Deutschland nur Tuba
Im Abendprogramm. Doch wir holn sie zurück
Die führende Rolle mit deutschem Geschick.
So wie es scheint wird es lange nicht bleiben
Wir müssen uns selbst in ein Anderes treiben.
Ersticken ist fühlbar in der Architektur
Die uns überschlägt als ein Teil der Zensur.
Wo Fluchtpunkte tanzen und am Horizont
Zur Hochzeit sich finden, erwachsen gekonnt
Die Meister von morgen. Und Lenin vielleicht
Kann wiederum nützlich sein, wenn man sich eicht
Auf Macht für die Schwachen und Gleichheit im Sein
Nichts anderes geht in Geschichtsscheibung ein.
So sehr ihr euch windet. So sehr ihr uns schindet.
Was sich uns auflegt ist ein Feind der Stillstand kündet.
Wir wollen unsre Brunnen wieder.
In der früheren Größe. Es singen die Lieder
Am Beginn des Jahrtausends von Weite und Raum
Mit viel Platz für die Sonne und jedweden Traum.
Lenins Bildnis in Dresden aus rotem Granit
Ist am Bahnhof verschwunden und sein Vorsteher mit.
Einhunderzwanzig Tonnen Gestein
Waren vier Meter hoch und das sollte nicht sein.
Wenn die Denkmäler bluten ist Revolution
Einst im Herbst eine friedliche hatten wir schon
Die war schneller zu Ende fast als sie begann.
Und wir kaufen und saufen jeden Dreck wie im Wahn.

II

Ode auf ein Denkmal, das lang schon stumm ist
Platens Versfuß, neure Geschichte spiegelnd
Meine Trauer rechnet sich überhaupt nicht
Aber es fließt noch
Wollen wir in Lenins Gebäude wieder
Einfalln und es plündern zum neuen Aufstand
In Erwägung daß wir gefressen werden
Braucht es der Klugheit
Kinder, linken Radikalismus träumend
Lenins Krankheit aus der Parteihochschule
Kominterngedöhns, das kein Schwein mehr hörn will
Ja, im Moment noch
Krieg dem Kriege, Lenins Dekret, das Erste
Nach dem Sturm aufs Winterpalais versendet;
In Afghanistan überwintern wollen
Die Unterdrücker
Macht euch frei vom Kapitalismus schieb er
Lenin, den sie lange nicht wirklich kannten
Bis die Welt zusammenbrach, und die neue
Anfing zu blühen
Aufruhr, unterirdische Glut entfacht er
Worte, die wie Blitze den Schlaf der Welt rührn
Eingeschreint im Herzen der Arbeitsklasse
Der da hieß: LENIN
Laub tanzt raschelnd unter den Füßen wieder
Uns beim Gehn, der Herbstwind wäscht alle Farben
Selber sehn wir eigentlich ganz nach Innen
Nur der Verkehr stört
Lenins Monument ist uns weggefallen
Hier in Dresden, eingangs der Prager Straße
Scham und Trauer ist es was uns begleitet
Wenn wir hier warten.

III

Wir hatten Lenin vor dem Bahnhof stehen
In finnischem Granit, gehaun ein Jahr
Nach Ulbrichts Tod. Von einem Künstler, der
Aus Leningrad kam, unsrer Partnerstadt.
In Bombenhagel und Blockadeterror
Sich gleichen Leids erwehren mußten sie.
Jastrebenezki legte die Skulptur
Mit drei Figuren an und einer Fahne.
Vier Meter hoch, nach Sonnenaufgang blickend.
Vom scharfen Ostwind wallte Lenins Mantel
Der offen war noch im Oktober und
Den links postierten Thälmann halb verdeckte
Der, kenntlich am Rotfrontgruß und der Mütze
In dieser Position nur schwer gelitten
War von den Hütern der Partei in Dresden.
Der Stein als Kunstwerk stammt vom selben Jahr
In dem PinkFloyd ihr Nachtmondalbum brachten,
Das meine Jugend prägte wie kein zweites.
Es wurde nie geschändet, bis zum Abbau,
Und zeigte sich auch nie als sehr bewacht.
Wahrscheinlich saß die Stasi hoch im Newa
Und glotzte unermüdlich auf es nieder
Für fünfzehn lange Jahre. Schwerer Dienst
Zu starren auf ein starres Monument.
Da kann man schon nach Stunden in der Nacht
Den Eindruck eines Schwebens des Objekts
Der Untersuchug haben. Und das melden.
„Jetzt schwebt er wieder“ hört die Hauptverwaltung
Am Telefon. „Wer?“ – „Lenin!“ und der Fall gerät
Ins Licht der Psychologen undsoweiter.
Das Denkmal ist geschleift, es bleiben Bilder
In schwarz und weiß und ein verlorner Volksstaat.

Epilog

Liebe Touristen! Wir grüßen sie in der verbotenen Zone
Unserer Heimstatt. Und bald werden Sie wissen, warum
Über den Gräbern der Ahnen bei uns eine Steindecke liegt.
Sind für die Decke doch wir sie zu vereinnahmen hier.

Lenindenkmal Dresden

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